Geschichtlicher Überblick

Der älteste Nachweis einer Musikkapelle in St. Lorenzen stammt aus dem Jahr 1818. Am 27. Juni 1818 trat die türkische Musik von St. Lorenzen beim Empfang von Erzherzogin Maria Luise von Parma (damals noch Gemahlin von Kaiser Napoleon I.) in Bruneck auf. Der Auftritt erfolgte auf Geheiß des Lorenzner Landrichters Franz von Lutterotti. Kapellmeister war der damals 22-jährige Organistensohn Alois Moser. Die Mitgliederzahl betrug etwa 20 Mann. Die Literatur in den ersten Jahrzehnten bestand ausschließlich aus Marschmusik.

Derartige Auftritte der Lorenzner Musik, meist bei der Durchreise von Mitgliedern des Kaiserhauses, sind auch in den folgenden Jahren dokumentiert. Am 12. Oktober 1822 spielten die Lorenzner Musikanten sogar beim Empfang von Kaiser Franz I. und Zar Alexander, als die beiden Herrscher auf ihrer Reise zum Kongress von Verona in Brixen Station machten.

1824 zählte die Kapelle bereits 27 Mann. Bei den Festlichkeiten vom 18. bis 20. Juni 1824, anlässlich der Anwesenheit von Erzherzog Franz Karl in Bruneck erhielt jeder Musikant ein Taggeld von 42 Kreuzern.

Über Auftritte der türkischen Musik in St. Lorenzen selbst gibt es aus der damaligen Zeit keine spezifischen Aufzeichnungen. Belegt sind aber die Aktivitäten der sogenannten Kirchenmusik, die es in St. Lorenzen bereits im 16. Jahrhundert gab. Ende des 18. Jahrhunderts zählte diese Gruppe rund 15 Mann. Sie kann aber nicht mit einer Musikkapelle im heutigen Sinn verglichen werden, denn sie war eine Einrichtung der Pfarrei und spielte ausschließlich bei kirchlichen Anlässen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dürfte ein Großteil der Lorenzner Musikanten sowohl bei der Kirchenmusik als auch in der türkischen Musik mitgewirkt haben.

1834 erlitt die Musik einen herben Rückschlag. Kapellmeister Alois Moser, der auch Organist und Dirigent des Pfarrchores war, starb plötzlich. Die nachfolgenden Chorleiter wurden zwar auch mit der Leitung der Musikkapelle beauftragt, mit den Musikanten hatten sie aber kein gutes Einvernehmen. So suchten sich die Musikanten gelegentlich einen Kapellmeister aus den eigenen Reihen, wie etwa den Sonnenburger Bindermeister Josef Draschl, der früher ein Militärmusiker gewesen war. Probleme gab es vor allem wegen der Instrumente. Diese gehörten zum Teil der Pfarrei und zum Teil dem Markt. Bestimmte Instrumente wurden von den Musikanten als persönliches Eigentum betrachtet. Erst 1868 dürfte sich dieser Umstand etwas gebessert haben, als die Kapelle Instrumente des Kaiserjäger Battailons Laxenburg erwerben konnte.

Ab 1883 wurde es still um die Musikkapelle St. Lorenzen. Bei Feierlichkeiten trat nur mehr ein Streichersextett auf.

1887 erfolgte ein Neuanfang, als der Rittner Lehrer Benedikt Silbernagl als Schulleiter nach St. Lorenzen kam. Er war ein begabter Musiker und unter seiner Führung wurde die Kapelle wieder neu organisiert. Erstmals war nun die Lorenzner Musikkapelle unter der musikalischen Leitung eines Lehrers. Nun gehörten nicht nur Marschmusik sondern auch Konzerte zum Programm. In den 1890er Jahren erreichte die Kapelle ein hohes musikalisches Niveau.

Von 1899 bis 1904 war Vinzenz Goller Kapellmeister. Gollers moderne Anschauungen und vor allem seine politischen Aktivitäten stießen bei den Musikanten auf Widerstand. Viele Musikanten verließen die Kapelle und 1904 verließ auch Goller St. Lorenzen. Als 1905 der Lehrer Hugo Sprenger die Kapelle übernahm, konnte er deren Niedergang nicht mehr verhindern. 1907 stellte die Musikkapelle ihre Tätigkeit ein.

1913 wurde die Kapelle wieder mit neuem Schwung ins Leben gerufen. Lehrer Karl Draschl konnte einen Teil der früheren Musikanten zu einem Neuanfang bewegen. Vor allem gelang es ihm viele junge Musikanten anzulernen, so dass er mit 49 Mann das Jahr 1914 beginnen konnte. Ein halbes Jahr später gab es mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges ein jähes Ende.

Nach Kriegsende, im April 1919, wurde unter der Führung des Schustergesellen Hans Kinigadner die Kapelle wieder neu konstituiert. Um Fronleichnam desselben Jahres rückte die 22 Mann starke Kapelle zum ersten Mal aus. Bei der Wahl des Ausschusses am 7. September wurden Hans Kinigadner zum Obmann und Peter Knapp zum Kapellmeister gewählt. Die ersten Proben wurden in der Werkstätte des Sattlermeisters Wolfsgruber abgehalten. Einige Jahre später konnte das alte Probelokal im Schießstand bezogen werden. Erstmals in ihrer Geschichte erhielt die Kapelle eine einheitliche Kleidung, nachdem die Musikanten die Röcke und Hüte der Schützenkompanie aus der Vorkriegszeit übernahmen.

Das Jahr 1923 brachte unliebsame Änderungen wegen der neuen faschistischen Gesetze. Alle volkstümlichen Traditionen wurden verboten. Trotz allem lebte die Kapelle weiter. Die gesetzlichen Vorgaben wurden eingehalten oder geschickt umgangen. Offiziell hieß die Musik nun „cappella musicale di San Lorenzo“. Als 1930 der lokale faschistische Freizeitverein gegründet wurde, zählte dieser kaum ein Dutzend Mitglieder. Da wurden die Mitglieder der Musikkapelle, ohne diese zu fragen, kurzerhand in diese Organisation eingeschrieben. Den Mitgliedsbeitrag zahlte die Gemeinde. Die Kapelle erhielt damit den offiziellen Namen „banda sociale del dopolavoro“.

Die Musikkapelle von St. Lorenzen war eine der wenigen Kapellen, die während des Krieges nie aufgelöst wurden. Kapellmeister Peter Knapp verstand es die entstandenen Lücken der eingerückten Musikanten mit ganz jungen neu angelernten Musikanten, sowie durch Aushilfen von benachbarten Ortschaften zu schließen. Ab Herbst 1943 gab es kaum mehr Spielraum für eine freie musikalische Entfaltung. Die Schikanen der nationalsozialistischen Machthaber waren noch strenger als jene zur Zeit des Faschismus. Alles wurde entweder angeordnet oder verboten. Die Kapelle wurde in „Standschützenkapelle St. Lorenzen“ umbenannt.

Mit einem großen Fest gemeinsam mit der Freiwilligen Feuerwehr im September 1946 wurde das 80-jährige Gründungsjubiläum begangen. (Wie man auf ein Gründungsjahr 1866 kam ist unbekannt.) Es war dies gleichsam der Beginn einer neuen Ära. Endlich gelang es der Kapelle eine Tracht anzuschaffen. Am Kassiansonntag 1948, wo die Kapelle an der großen Prozession in Brixen teilnahm, wurde die Tracht zum ersten Mal getragen.

Beim Musikfest in Welsberg am 8. September 1950 wagte man erstmals die Teilnahme an einem Wertungsspiel. Die 36 Mann starke Musikkapelle St. Lorenzen unter Kapellmeister Peter Knapp erhielt mit dem Stück Cavatine aus Eranini von Verdi die Bewertung „Sehr gut“. Zwei Jahre später, am 11. Mai 1952 erlebten die Musikanten zum ersten Mal eine Fahrt ins Ausland. Auf Einladung der Bürgermusik von St. Johann in Pongau (Salzburg) nahm die Kapelle an einer Feier im Gedenken an die Kämpfe von 1809 am Pass Lueg teil. Bei dieser Fahrt machte Kapelle auch Station in Großarl. Für die älteren Musikanten war es ein bewegtes Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Kapellmeister und Lehrer Hugo Sprenger, der 1924 zur Auswanderung gezwungen worden war.

Ende der Fünfzigerjahre kam es in der Kapelle zu Zwistigkeiten. Obmann Ernst Wanker trat zurück und verließ mit mehreren anderen Musikanten den Verein. Im Jänner 1959 gelang ein Neuanfang mit der Wahl es einen neuen Obmannes und Vorstandes. Im selben Jahr übergab Peter Knapp, die musikalische Leitung der Kapelle seinem Sohn Peter Knapp jun. Am Cäciliensonntag 1959 wurde sein Jubiläum für 40 Jahre als Kapellmeister und 50 Jahre als Musikant gefeiert.

Das Jahr 1964 ist ein weiterer Meilenstein in der Lorenzner Musikgeschichte. Lag die Heranbildung von Jungmusikanten bisher ausschließlich im Aufgabenbereich und in der Verantwortung des Kapellmeisters, so besuchten in diesem Jahr erstmals mehrere Jungmusikanten nebenbei auch die Musikschule in Bruneck. Das Angebot der Musikschule wurde in der Folgezeit immer mehr genutzt, wodurch das musikalische Niveau laufend gehoben werden konnte.

1974 ging eine alte Tradition zu Ende. Bis dahin gehörte die Ortschaft Stegen zur Pfarrei St. Lorenzen und so war die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession in Stegen ein fester Termin im Jahreskalender. Am 16. Juni 1974 war es das letzte Mal, dass die Lorenzner Musik mitmarschierte. Stegen war nämlich 1974 eine selbständige Pfarrei geworden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Kapelle ihr Probelokal im alten Schulhaus (Mesnerhaus). Dieser war nicht nur viel zu klein, sondern entsprach später auch anderweitig in keiner Weise mehr den Anforderungen. Die Gemeinde machte es nun möglich, dass ein Raum in der Markthalle als Probelokal eingerichtet werden konnte. Am 10. Jänner 1976 fand hier die erste Probe statt.

Proben, Auftritte und auch die Mitgliederzahlen sind im Laufe der Jahre gestiegen. Zählte die Kapelle 1974 noch 33 Mann, so waren es bei der Jahresversammlung am 4. Februar 1978 bereits 53. Der Schriftführer Anton Hilber berichtete damals von 161 Proben und 31 Auftritten.

Am 5. September 1982 wurde die neu angeschaffte Fahne der Musikkapelle St. Lorenzen geweiht. Die Patenschaft übernahm Frau Doris Holas Castlunger, Gattin von Dr. Ing. Peter Kastlunger, der viele Jahre als Hornist und Tenorhornist in der Kapelle mitspielte.

Mit dem Bau des Kindergartens und der Turnhalle wurden auch Räumlichkeiten für Vereine geschaffen. So erhielt die Kapelle auch ein neues Probelokal. Es mutete fast luxuriös an, als am 12. Oktober 1985 die erste Probe im geräumigen Probenraum stattfand. Im selben Jahr nahm auch eine Traditionsveranstaltung ihren Anfang. Gemeinsam mit der Ortsfeuerwehr wurde am 1. September das Lorenzner Kirchtagsfest veranstaltet. Über viele Jahre war diese Veranstaltung, jeweils am ersten Wochenende im September, ein schöner Erfolg.

1987 ging für die Musikkapelle Lorenzen eine Ära zu Ende. Seit 1919 kannte man den Kapellmeister nur unter dem Namen Peter Knapp, nämlich 40 Jahre Peter Knapp Vater und 28 Jahre Peter Knapp Sohn. In diesem Jahr, am Cäciliensonntag übergab Peter Knapp jun. den Taktstock seinem Nachfolger Franz Lahner. Bisher war die Musikkapelle eine reine Männerdomäne, in diesem Jahr wurde erstmals eine Musikantin, nämlich die Flötistin Helga Schaller, die mit Erfolg die Musikschule besucht hatte, in die Kapelle aufgenommen.

Kapellmeister Lahner wagte neue Herausforderungen. Er studierte mit den Musikanten ein anspruchsvolles Programm ein und im Frühjahr 1988 wurde die Ortsbevölkerung zum ersten Saalkonzert ins Vereinshaus geladen. Eine Woche später, beim 16. Bezirksmusikfest am 21. Mai 1988 in Bruneck, stellte sich die Kapelle den Wertungsrichtern. Anders als bei früheren Wertungsspielen wagte man nun eine Prüfung in der Oberstufe. Der schöne Erfolg war den Musikantinnen und Musikanten Ansporn zur Weiterentwicklung. Kapellmeister Stephan Niederegger (1991-2000) und Kapellmeister Matthias Hilber (2000-2008) setzten die Aufbauarbeit fort.

Im Sommer 1996 erhielt die Kapelle eine völlig neue Tracht nach dem Muster der Pustertaler Kapellen und 1999 ging ein weiterer lang gehegter Wunsch in Erfüllung: am Schulhausplatz wurde das Musikpavillon fertiggestellt.

Bis 2008 stellte der Verein einen Kapellmeister aus den eigenen Reihen. Das Frühjahrskonzert 2009 dirigierte erstmals ein Absolvent einer Musikhochschule, nämlich Erhard Gatterer aus Pfalzen. 2010 stand Prof. Otto Rabensteiner aus Villanders (2010) am Dirigentenpult. Von 2011 bis 2018 war Alberto Promberger aus Welschellen Kapellmeister der Musikkapelle St.Lorenzen. Der damals 21 Jährige Jakob Augschöll aus Luttach ist nun seit 2019 Kapellmeister unserer Musikkapelle.

Richard Niedermair
Quellen:

Archiv der Musikkapelle St. Lorenzen

Pfarrarchiv St. Lorenzen

Marktarchiv St. Lorenzen

Gemeindearchiv St. Lorenzen

Staatsarchiv Bozen, Bestand der Kreisamtsakten Dietenheim, St. Lorenzen und Bruneck

Staatsarchiv Bozen, Akten des Landgerichtes St. Michaelsburg und des Patrimonialgerichtes Lorenzen

Südtiroler Landesarchiv Bozen, Mikrofilmarchiv

Pfarrchronik

Ortschronik Alverà

Diverse historische Zeitungen aus den Beständen der Landesbibliothek Tessmann Bozen, Ferdinandeum Innsbruck und Universitätsbibliothek Innsbruck.

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